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The part of Helion Publishing Group aimed at Young Adult and New Adult readers. The imprint was created to build a community of young book enthusiasts.
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View Rights PortalEs wĂ€re ein fadenscheiniges Unterfangen, wollte man angesichts Friederike Mayröckers zwischen 1949 und 1977 entstandenen Prosaarbeiten ein geschlossenes Gesamtbild suggerieren. Zu unterschiedlich sind die Texte, was ihre Anlage und Gestalt angeht, zu sehr haben sich in der entsprechenden Zeit auch die Literatur, der Blick auf sie und nicht zuletzt die Lebensbedingungen verĂ€ndert, unter denen die Autorin geschrieben hat. Dieser erste von insgesamt fĂŒnf BĂ€nden dokumentiert nicht, wie man meinen könnte, ein FrĂŒhwerk, sondern vereinigt Texte aus neunundzwanzig Jahren. Die frĂŒhesten ProsastĂŒcke sind, bei aller Aufmerksamkeit, die der AuĂenwelt gilt, SelbstgesprĂ€che, gelegentlich auch direkt an andere Personen gerichtete poetische Mitteilungen. In Friederike Mayröckers Prosa der sechziger Jahre werden GesprĂ€che gefĂŒhrt, werden GesprĂ€che aufgezeichnet, dialogische Strukturen angewandt. Anfang der siebziger Jahre beginnt Friederike Mayröcker mit der Arbeit an gröĂeren ProsazusammenhĂ€ngen. Die Dimension der Mehrstimmigkeit bleibt dabei erhalten, Friederike Mayröckers Figuren imitieren keine Personen, sondern scheinen eher einer Vielzahl von Beteiligten ihre Stimme zu leihen. (Marcel Beyer)
Die Sommermonate des Jahres 2015 muss Friederike Mayröcker im Krankenhaus verbringen. Wochenlang ist sie abgeschnitten von ihrer papierenen Schreibhöhle, dem legendĂ€r gewordenen GehĂ€use ihres Poesiewerks. Das Schreiben in der fremden, ungewohnten Umgebung ist unmöglich, nicht weil die lĂ€stigen körperlichen Gebrechen die Dichterin daran hindern, sondern weil das bestĂ€ndige FlĂŒstern und Wispern der sich aneinanderschmiegenden Zettel und BlĂ€tter nicht hörbar ist, dem jene Wort- und Satzkonzentrate abgelauscht werden, die den einzigartigen Mayröcker-Sound erzeugen. Die Dichterin behilft sich auf ihre Art, mit einem bestĂ€ndigen »Kritzeln«, einem Protokoll der einförmigen Tage: »verbringe die Tage mit Lesen Schlafen Essen«. Kaum zurĂŒck in ihrer Klause, verspinnt und verwebt sie die Notate zu jener unvergleichlichen Poesie, die »dicht wie ein Felsen und zart wie die allerzarteste Membran« (Klaus Kastberger, Die Presse) ist. Pathos und Schwalbe, das neue Buch von Friederike Mayröcker, ist RadikalitĂ€t und Unbeugsamkeit, ist Ăberfluss und PrĂ€zision. Und es ist das bewegende Zeugnis eines Lebens, das nur ein Ziel kennt: »ich mĂŒszte den ganzen Tag fĂŒr mich haben um unbĂ€ndig, ich meine schreiend, schreiben zu können.«
mit Scardanelli im Grunde deines Mundes, damals wann weisz die Schwalbe dasz es FrĂŒhling wird nachts nadelst du als Regen an mein Fenster ich liege wach ich denke an die Nachmittage umschlungenen MitternĂ€chte, vor vielen Jahren diese Rosenkugeln die Schaafe auf der dunklen Himmels Weide Die Spur fĂŒhrt nach TĂŒbingen, in eine Turmstube oberhalb des Neckars. Dort sitzt einer und schreibt. Hölderlin nennt er sich indes nicht mehr. Seine Gedichte unterzeichnet er »Mit UnterthĂ€nigkeit / Scardanelli«. Seine Stube verlĂ€Ăt er nur selten, und doch begegnet ihm Friederike Mayröcker auf ihren StreifzĂŒgen durch magische Kopf- und Sprachlandschaften auf Schritt und Tritt: Mal stöĂt sie auf ihn, »wo junge BlĂ€ttchen wo verborgene Veilchen schwĂ€rmten«, mal zeigt er sich als »1 schöner / Wanderer mit Alpenhut und einer Blume in seiner / Hand«. Zwischen Januar und September 2008 entstanden 40 Gedichte, in denen Friederike Mayröcker dem hymnischen Ton und den freien Rhythmen Friedrich Hölderlins folgt. Meist reicht ein einzelnes Wort, manchmal ein Teil einer Verszeile, um die Sehnsucht zu beflĂŒgeln: »ich möchte / leben Hand in Hand mit Scardanelli«.
EtĂŒden nennt Friederike Mayröcker ihre prosaischen Gedichte und lyrischen ProsastĂŒcke, Studien also, »Fetzchen« auch, wie sie sagt, splitternd, brĂŒchig und aufs höchste konzentriert, die Sprache zugespitzt aufs Wesentliche allein, der Entgrenzung von Raum und Zeit, der Transposition des gelebten Augenblicks in ein ewiges Hier und Jetzt. Allesamt sind es Variationen auf die VergĂ€nglichkeit des Irdischen â ein Motiv, das lĂ€ngst zum beherrschenden im sich unaufhörlich radikalisierenden Alterswerk der Wiener »poeta magica« geworden ist. Ăbung fĂŒr Ăbung wird der Skandal der Endlichkeit des Lebens einem unwiderstehlichen Verwandlungszauber unterzogen, der das beschwerlich Profane in der Losgelöstheit der Poesie zum Verschwinden bringt. Friederike Mayröckers EtĂŒden sind Texte in betörendem Moll, melancholisch, verletzlich, aber voll des Lebens und prall der Abwehr des Todes: »NEIN keinen Tod keine Wandlung kein Verderben kein Hinscheiden kein Abschied kein unisono«. Kompromisslos einzig dem Schreiben verpflichtet zeigt sich die groĂe Dichterin, von unĂŒberbietbarer sprachlicher KĂŒhnheit ist ihre Poesie.
»Erster Gedanke am Morgen: werde ich heute schreiben können (âŠ) werde ich in die Feuerlilien Verfassung geraten, schreiben zu können.« Die Magischen BlĂ€tter dokumentieren das Schreibleben von Friederike Mayröcker, ihr ungeheuer produktives und vielseitiges »Zetteldasein«. Seit 1984 versammeln sie die verstreut publizierten, kĂŒrzeren Prosatexte der Dichterin; Band VI prĂ€sentiert die in den Jahren 1999 bis 2005, zwischen dem Tod Ernst Jandls, der Auszeichnung mit dem Georg- BĂŒchner-Preis und der Publikation des jĂŒngsten groĂen Prosawerks entstandenen Texte.
Nach dem Erscheinen von Friederike Mayröckers Magischen BlĂ€ttern (es 1202) schrieb Ernst Nef in der Neuen ZĂŒrcher Zeitung: »Diese Autorin kommt vom Innern, vom Traum her, aber versucht den Weg bis ganz nach auĂen zu gehen, wo das Innere, Private, das in der gegenstĂ€ndlichen Welt nicht Abgegoltene mit Hilfe der Sprache dann objektiv und in einem neuen Sinne gegenstĂ€ndlich wird. Wo immer der Mayröcker dieser »steinige Weg der Formfindung« in ihren Dichtungen gelingt, rufen diese im Leser das hervor, was sie selber in einem dieser Magischen BlĂ€tter zutreffend beschreibt: âș...ein gleichsam schweifendes und schwindelerregendes GefĂŒhl - als könne man sich plötzlich und wunderbarerweise mit eigener FlĂŒgelkraft ins Tiefe und Dunkle, ins DĂŒstere, Ferne und Weite schwingen.âč Diese Autorin hat der Dichtung, der Sprache Neuland erschlossen.« Diese poetischen Miniaturen zur Poetologie - der eigenen wie anderer setzt der vorliegende zweite Band der Magischen BlĂ€tter fort.
Zu Spionen in ihren Familien werden Carl, Nora, Pauline und ihr Cousin. Wo andere in Fotoalben blĂ€ttern, deren Bilder an die Eltern und GroĂeltern erinnern und Familiengeschichte erzĂ€hlen, stoĂen sie auf Geheimnisse, auf Verschwiegenes und Verborgenes. Die Liebesgeschichte um den GroĂvater, z.B., der sich im November 1936 von seiner Verlobten verabschiedete, um sich der âLegion Condorâ, dem Geheimeinsatz der Deutschen Luftwaffe wĂ€hrend des Spanischen BĂŒrgerkriegs anzuschlieĂen. Der Rumor um die GroĂmutter, die OpernsĂ€ngerin mit den Italiener-Augen. Die Kinder versuchen sich ein Bild zu machen, erfinden ihre Version der Familiengeschichte. Wie schon in seinen Romanen Flughunde und Kaltenburg macht sich Marcel Beyer auf literarische Spurensuche in der deutschen Geschichte. âMarcel Beyer erweist sich in Spione als gerissener ErzĂ€hler. In knappen Andeutungen und sinnlich ausgemalten Skizzen entwerfen die Kinder-Agenten die Geschichte der GroĂeltern.â Wolfgang Höbel, Der Spiegel
Sie inspirierte Goethe zu einigen seiner schönsten Gedichte: Friederike Brion aus dem elsĂ€ssischen Sesenheim. Es war eine heftige, kurze Liebschaft, die den jungen Dichter mit der Pfarrerstochter verband. Gut vierzig Jahre spĂ€ter berichtet Goethe davon unter anderem in Dichtung und Wahrheit. Theodor Stemmler erzĂ€hlt die Geschichte dieser Jugendliebe neu und zieht dabei Goethes Originaltexte aus seiner StraĂburger und Sesenheimer Zeit vom April 1770 bis zum August 1771 heran. Frei von den Interpretationen und Spekulationen vergangener Generationen entsteht so eine neue Sicht auf den StĂŒrmer und DrĂ€nger jener Zeit.
Friederike Mayröcker wurde am 20. Dezember 1924 in Wien geboren und starb am 4. Juni 2021 ebendort. Sie besuchte zunĂ€chst die Private Volksschule, ging dann auf die Hauptschule und besuchte schlieĂlich die kaufmĂ€nnische Wirtschaftsschule. Die Sommermonate verbrachte sie bis zu ihrem 11. Lebensjahr stets in Deinzendorf, welche einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterlieĂen. Nach der Matura legte sie die StaatsprĂŒfung auf Englisch ab und arbeitete zwischen 1946 bis 1969 als Englischlehrerin an verschiedenen Wiener Hauptschulen. Bereits 1939 begann sie mit ersten literarischen Arbeiten, sieben Jahre spĂ€ter folgten kleinere Veröffentlichungen von Gedichten. Im Jahre 1954 lernte sie Ernst Jandl kennen, mit dem sie zunĂ€chst eine enge Freundschaft verbindet, spĂ€ter wird sie zu seiner LebensgefĂ€hrtin. Nach ersten Gedichtveröffentlichungen in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift "Plan" erfolgte 1956 ihre erste Buchveröffentlichung. Seitdem folgten Lyrik und Prosa, ErzĂ€hlungen und Hörspiele, KinderbĂŒcher und BĂŒhnentexte.
Friederike Mayröcker wurde am 20. Dezember 1924 in Wien geboren und starb am 4. Juni 2021 ebendort. Sie besuchte zunĂ€chst die Private Volksschule, ging dann auf die Hauptschule und besuchte schlieĂlich die kaufmĂ€nnische Wirtschaftsschule. Die Sommermonate verbrachte sie bis zu ihrem 11. Lebensjahr stets in Deinzendorf, welche einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterlieĂen. Nach der Matura legte sie die StaatsprĂŒfung auf Englisch ab und arbeitete zwischen 1946 bis 1969 als Englischlehrerin an verschiedenen Wiener Hauptschulen. Bereits 1939 begann sie mit ersten literarischen Arbeiten, sieben Jahre spĂ€ter folgten kleinere Veröffentlichungen von Gedichten. Im Jahre 1954 lernte sie Ernst Jandl kennen, mit dem sie zunĂ€chst eine enge Freundschaft verbindet, spĂ€ter wird sie zu seiner LebensgefĂ€hrtin. Nach ersten Gedichtveröffentlichungen in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift "Plan" erfolgte 1956 ihre erste Buchveröffentlichung. Seitdem folgten Lyrik und Prosa, ErzĂ€hlungen und Hörspiele, KinderbĂŒcher und BĂŒhnentexte.
Sie tauchen als UmriĂ auf, schieben sich als Schatten vor die GroĂstadtkulisse und werden nur als Aussparung sichtbar im Text, der sie ins Leben ruft, in luftige Höhen wirbelt und tiefe AbgrĂŒnde stöĂt: Robert und Clara Schumann, der Komponist und die Pianistin, und ihnen zur Seite die Schreiberin und ihr GefĂ€hrte, zwei Liebespaare im Reigen â sie drehen sich miteinander und umeinander durch ein Assoziationslabyrinth, an dem nur die Wegkreuzungen deutlich markiert sind: die Heilanstalt in Endenich, das Wiener Kaffeehaus Drechsler, das 'Soffa' des Komponisten, auf dem sich die Liebenden immer aufs neue mit ihrer verrĂŒckten Leidenschaft anstecken. LĂ€ngst hat sich Friederike Mayröcker den Ruf einer 'Weltliteratin' erschrieben, ihre eigene Gattung geschaffen, die keine Grenzen kennt und alle Dimensionen sprengt: IdentitĂ€t, Zeit, Raum â was andere nötig haben fĂŒr Halt und Orientierung, darĂŒber setzt sie sich so selbstverstĂ€ndlich wie folgerichtig hinweg, um sich und ihrem Schreiben neue FreirĂ€ume zu schaffen: Aus den 'Schluchten der Sprache' und den 'LustgĂ€rten der Sprache' tönt die neue Prosa der groĂen Wiener Dichterin: in wilder, die Passion des Lebens und des Liebens beschwörender Rede.
Seit dem Erscheinen seines ebenso brillanten wie erschĂŒtternden Romans »Flughunde« im Jahr 1995 gilt Marcel Beyer als »einer der besten jungen Romanciers der Gegenwart« (The New Yorker). »Flughunde«, mittlerweile in 14 Sprachen ĂŒbersetzt, erzĂ€hlt vom Ende des Zweiten Weltkriegs aus der Perspektive eines fanatischen Akustikers im Dienste der Nazis und aus der Sicht einer der Töchter Goebbelsâ, erzĂ€hlt von der Instrumentalisierung der Sprache durch die Propaganda und von Experimenten mit menschlichen Stimmen. Ulli Lust, eine der bedeutendsten deutschsprachigen Comic-KĂŒnstler und erst kĂŒrzlich mit dem Comic-Oscar, dem Prix RĂ©vĂ©lation, ausgezeichnet, legt hier Marcel Beyers verstörendes Meisterwerk als Graphic Novel vor.
Paloma: Das Buch trĂ€gt den Namen der Tauben im Flieder, der geflĂŒgelten Boten im Azur. 99 Briefe auf der Kreisbahn eines Jahres, von Mai 2006 bis April 2007: "lieber Freund, die weiszen Lilien, die du mir zur TĂŒr gelegt hast, sind eine grosze Lust mein Schreibzimmer voll Glanz und Duft : das wird mich anfeuern zu schreiben", hebt der erste von ihnen an, in den FrĂŒhling geschrieben, den dichtenden Vögeln nach. "Fern Schreiben" sind es, an den Freund, den Leser und an ihn, den abwesenden VerbĂŒndeten, der dahin ist und doch nie gegangen. WĂ€hrend drauĂen die GegenstĂ€nde wie BĂŒhnenkulissen wechseln und das Leben sich im Fenster vis-Ă -vis spiegelt, hĂ€lt Friederike Mayröcker Zwiesprache mit sich selbst: "bin den ganzen Tag am Lauschen : Worte, Wortbilder, SĂ€tze, (âŠ) fliege immer wieder auf und nieder, hierhin und dahin." Paloma ist ein kĂŒhnes, poetisches, wildes Buch ĂŒber den Umgang mit sich und die "Menschen VerhĂ€ltnisse", die Generalinventur einer groĂen Dichterin. Ăber das Schreckgespenst des Alters, die GeisteszerrĂŒttung, den Schwindel siegt eine tiefe Lebenslust, die Glut des Schreibenwollens und die rĂŒcksichtslose Hingabe an die alles verwandelnde, tragende, die zum Himmel auffahrende Sprache: "Möchte saphirene Texte schreiben tatsĂ€chliches Blau."
Vieles von dem, was einst nur tastend zueinanderfand, vermittelt im nachhinein den Eindruck einer kompakten Formation. Auch die Prosa Friederike Mayröckers, die uns in dieser Ausgabe wie ein riesenhaft wirkender Block vor Augen steht, scheint aus literaturhistorischer Sicht das Produkt einer konzisen Entwicklung zu sein, die von kleinen verstreuten Textpartisanen zur Aufschichtung einer neuen Prosaform fĂŒhrt. Eine entscheidende Etappe in diesem ProzeĂ des produktiven Andersseins fand in den 70er Jahren statt. Friederike Mayröcker entfaltete einen Stil, der sich ĂŒber stets gröĂer werdende FlĂ€chen breitete und in den BĂ€nden "Die Abschiede" (1980) und "Reise durch die Nacht" (1984) vorlĂ€ufige Gipfelpunkte fand. Das rein experimentelle Schreiben â ein Schreiben, das die Sprache als Material fĂŒr formale Arrangements verstand und an Inhalten zumal psychologischer Natur demonstratives Desinteresse zeigte â empfand Mayröcker seit Beginn der 70er Jahre als eine BeschrĂ€nkung ihrer schriftstellerischen und wohl auch eine Beschneiung der sprachintern gegebenen Möglichekeiten. Sie öffnete ihr Schreiben neuen Inhalten und Formen. In einers zusehends direkteren Weise fand autobiographisches Material in die Texte Eingang; behutsam entwickelte sich jenes unkonventionelle und unorthodoxe "ErzĂ€hlverhalten", das in den nachfolgenden ProsabĂŒchern GröĂe und Form gewann. (Klaus Kastberger)
»Gedichte können die Zeit besser ĂŒberstehen als die prĂ€chtigsten Tempel und PalĂ€ste«, sagt Marcel Reich-Ranicki. Dieser Band versammelt die fĂŒr den Literaturkritiker wichtigsten und schönsten Gedichte deutscher Lyrikerinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Die vorliegende Sammlung macht in ihrer Vielfalt den Band nicht nur zu einem anregenden LesevergnĂŒgen, sondern auch zu einer bislang einzigartigen Literatur- und Kulturgeschichte. Mit Gedichten von Annette von Droste-HĂŒlshoff, Ricarda Huch, Nelly Sachs, Getrud Kolmar, Marie Luise Kaschnitz, Mascha KalĂ©ko, Friederike Mayröcker, Ingeborg Bachmann, Elisabeth Borchers, Sarah Kirsch, Ulla Hahn, Ulrike Draesner u.v.a.
Wer ĂŒber Jahre die Arbeiten Friederike Mayröckers verfolgt, glaubt, gewisse Wiedererkennungsinseln zu sichten â die Kindheit in Deinzendorf in Niederösterreich, Vater und Mutter, bestimmte Auoren und Maler (Breton, Eluard, Jean Paul, Max Ernst, DalĂ) â, aber bei genauerem Hinschauen erweisen sie sich als Bojen, die nur den Spielraum markieren, in dem sie sich bewegen [...]. Der »Spalt zwischen den Wörtern«, durch den »eine andere, geheimnisvolle, fremde Welt« hindurchleuchtet, treibt etwas hervor, das den Unterschied zwischen Schreiben und Lesen aufhebt. Der fĂŒr Friederike Mayröcker wichtige Roland Barthes hat einemal bemerkt, daĂ beim Lesen die Gedanken stĂ€ndig abgleiten und daĂ dadurch ein amorpher gegentext immer mitlĂ€uft, der das Geschriebene durchkreuzt. Diesen »mitgelesenen« Gegen- oder Zwischentext an die TextoberflĂ€che zu ziehen scheint eines der Hauptverfahren des Mayröckerschen Schreibens ĂŒberhaupt und von "Stilleben" im besonderen zu sein. Daher die Abwehr gegen alles Anekdotische, Narrative, ja gegen einen ErzĂ€hlfluĂ ĂŒberhaupt, weil das das Aufmerken auf die Wörter selbst, ihre gewissermaĂen autoverbale Energie vergessen lieĂe. Solche Energie stammt freilich nicht mehr (oder nur noch gelegentlich) aus den alten experimentellen Techniken, sondern kommt aus einer gewissermaĂen vegetativen Offenheit fĂŒr ZwischenzustĂ€nde. (Klaus Reichert)
Es ist Sommer in diesem Buch, auch wenn sich die Natur oftmals nicht daran hĂ€lt, die Blumen erst winzige Knospen tragen oder lĂ€ngst schon wieder verblĂŒht sind. Es ist Sommer in diesem Buch, weil das Sommerlicht angeknipst ist: mal gleiĂend hell, mal gewitterwolkig verdĂŒstert, ein magisches Licht zugleich, das Uhr und KompaĂ auĂer Kraft, zeitlich und rĂ€umlich Getrenntes dafĂŒr mĂŒhelos in eins setzt â etwa wenn die RuĂlandreisende in die rollenden Wellen der Newa und das dampfende Bassin des stĂ€dtischen Freibads zugleich blickt. Die Poetik dieser Gleichzeitigkeit alles Ungleichzeitigen formuliert die Schreiberin selbst: »es sind nicht die Szenen die ich erinnere, es sind vielmehr die diese Szenen begleitenden Sensationen, sage ich zu Ely.« »ich sitze nur GRAUSAM da«, die neue Prosaschrift Friederike Mayröckers, so streng gefĂŒgt in Form und Sprache wie ĂŒppig wuchernd in Tag- und NachttrĂ€umen, ist ein weiterer Band im radikalen Alterswerk der groĂen Wiener Dichterin.
Friederike Mayröcker wurde am 20. Dezember 1924 in Wien geboren und starb am 4. Juni 2021 ebendort. Sie besuchte zunĂ€chst die Private Volksschule, ging dann auf die Hauptschule und besuchte schlieĂlich die kaufmĂ€nnische Wirtschaftsschule. Die Sommermonate verbrachte sie bis zu ihrem 11. Lebensjahr stets in Deinzendorf, welche einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterlieĂen. Nach der Matura legte sie die StaatsprĂŒfung auf Englisch ab und arbeitete zwischen 1946 bis 1969 als Englischlehrerin an verschiedenen Wiener Hauptschulen. Bereits 1939 begann sie mit ersten literarischen Arbeiten, sieben Jahre spĂ€ter folgten kleinere Veröffentlichungen von Gedichten. Im Jahre 1954 lernte sie Ernst Jandl kennen, mit dem sie zunĂ€chst eine enge Freundschaft verbindet, spĂ€ter wird sie zu seiner LebensgefĂ€hrtin. Nach ersten Gedichtveröffentlichungen in der Wiener Avantgarde-Zeitschrift "Plan" erfolgte 1956 ihre erste Buchveröffentlichung. Seitdem folgten Lyrik und Prosa, ErzĂ€hlungen und Hörspiele, KinderbĂŒcher und BĂŒhnentexte.
Sind wir, was wir gelesen haben? SchĂ€rft Lesen die Wahrnehmung? Den Gemeinsinn? Was geschieht im Gehirn, wenn wir lesen? Gibt es ein illegitimes Lesen? Ein ekstatisches? Liest man alt anders als jung? Wie las man im Sozialismus? Was liest man im Krieg? Was bedeutet Lesen in unserer heutigen Abstiegsgesellschaft? Macht Nicht-Lesen am Ende glĂŒcklicher? Dies ist ein Lesebuch und ein Buch ĂŒber das Lesen, eine Anthologie, die das welt- und selbsterschlieĂende Abenteuer des Lesens beschreibt, seziert und feiert. Ausgehend von ihren literarischen oder wissenschaftlichen Arbeiten nehmen sich 24 Autorinnen und Autoren die Freiheit, das Thema auf ihre Weise zu behandeln: in Gestalt einer Theorie, einer ErzĂ€hlung, einer Kindheitserinnerung oder als Streifzug durch die eigene BĂŒcher- und Lesegeschichte. Mit OriginalbeitrĂ€gen von: Marcel Beyer, Rachel Cusk, Annie Ernaux, JĂŒrgen Habermas, Michael Hagner, Eva Illouz, Hans Joas, DĆŸevad Karahasan, Esther Kinsky, Thomas Köck, Sibylle Lewitscharoff, Enis Maci, Nicolas Mahler, Friederike Mayröcker, Oliver Nachtwey, Katja Petrowskaja, Andreas Reckwitz, Hartmut Rosa, Clemens J. Setz, Wolf Singer, Maria Stepanova, John Jeremiah Sullivan, Alejandro Zambra, Serhij Zhadan